Vom Gemüsegarten der verschiedenen Interessen, dem universitären Begriffssalat und der Kompostierung von Mitbestimmung und freiem Hochschulzugang
Die Protestwelle im Herbst und Winter 2009 dürfte wohl kaum jemensch in Österreich entgangen sein. Die großen Schlagworte, die dann in ebenso großer verschriftlichter Form auf Transparenten durch diverse Innenstädte getragen wurden und in teilweise noch größerer Form auf den Titelseiten der meisten Printmedien prangten, waren – ohne Anspruch auf Vollständigkeit –: „Bologna Burns“, „Bildung statt Ausbildung“, „Geld für Bildung statt für Banken“, „Wessen Uni? Unsere Uni!“ und so weiter und so fort. Trotz aller Plakativität drücken diese Slogans wenigstens zwei Aspekte der damaligen, und wohl auch heutigen, Stimmung aus. Zum einen Unzufriedenheit und Empörung über die Umstände und zum anderen eine gewisse Diffusität in der Frage „gegen wen?“ und „für was?“ demonstriert und besetzt wird.
Diese Ambivalenz klärt sich zumindest ein wenig auf, wenn frau/man versucht, den Ursachen, die letztendlich zur jetzigen Unzufriedenheit geführt haben, nachzugehen. Angewendet auf die eingangs erwähnten Slogans lassen sich mindestens drei größere Themenkörbe finden.
„Bologna burns“
Der Bologna-Prozess bezeichnet das völkerrechtlich nicht bindende Vorhaben fast aller europäischen Staaten bis 2010 einen einheitlichen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Seinen Namen verdankt er der italienischen Stadt Bologna – die ausdrücklich nichts dafür kann – in der 1999 dieses Abkommen geschlossen wurde. Die drei Hauptziele Mobilität, internationale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungsfähigkeit klingen auch zunächst durchaus wünschenswert. Besonders dann, wenn bedacht wird, dass die gegenseitige Anrechnung von Studienabschlüssen und -leistungen zuvor ein etwas anstrengendes und nicht immer erfolgreiches Unterfangen war. Die wirkliche Umsetzung des Bologna-Prozesses (nicht nur) in Österreich steht allerdings auf einem anderen Blatt: Einführung der dreistufigen Abschlüsse (Bachelor, Master, PhD) ohne jegliche Rücksicht auf lokale Gegebenheiten, unkoordinierte und oft genug sinnfreie Vergabe von ECTS-Punkten, Einschränkung bzw. Verbot von selbstbestimmten universitärem Wissenserwerb und die gesetzlich sanktionierte Beschränkung von Studienleistungen auf den Wert am Arbeitsmarkt unter dem Stichwort der „employability“. Dies sind nur einige der Aspekte, die bei der Implementierung der Reformen in Österreich falsch gelaufen sind und die von den StudentInnen und Lehrenden an den Universitäten nun tagtäglich aufs neue ausgebadet werden müssen. Was in diesem Kontext ebenfalls mitgedacht werden muss, ist der Hintergrund von „Bildung statt Ausbildung“. Freie und selbstbestimmte Studiengestaltung (siehe den Text zu den Erweiterungscurricula im Studienleitfaden), unorthodoxe und marginalisierte Wissensbereiche wie etwa frauen- und geschlechterspezifische Themen oder kritische Ökonomie wurden auf dem Wege der Studienplanumstellungen ebenso entsorgt wie der Anspruch, dass die Vertiefung von einzelnen Aspekten und ein umfassendes (böse Zungen würden sagen, interdisziplinäres) Wissen wichtiger ist, als ein auf Marktfähigkeit und Masterstudien getrimmtes FachidiotInnentum. Nebenbei wurde mit der dreistufigen Studienorganisation – Bachelor, Master, PhD – die Möglichkeit, Zugangsbeschränkungen einzuführen, wesentlich erleichtert. Ein freier Zugang zum Grundstudium wird zwar noch zugestanden und damit der freie Hochschulzugang formal aufrecht erhalten, Master- und PhD-Studien aber sind nun durchaus ins Blickfeld derer geraten, die bereits länger davon träumen, ebendiesen freien Hochschulzugang abzuschaffen.
Warum die Bologna-Reformen sich in Österreich so ausgewirkt haben, lässt sich nur dann nachvollziehen, wenn frau/man den gesellschaftlichen und politischen Hintergrund, vor dem die Umstellung passiert ist, etwas näher erläutert.
„Geld für Bildung statt für Banken“
Im Kontext der letzten Finanzkrise und den daraus resultierenden Rettungen von Großbanken durch diverse Staaten und die diversen internationalen Gemeinschaften war es nur naheliegend, dass sich die Wut der DemonstrantInnen auf die offensichtliche Diskrepanz zwischen dem, was die öffentliche Hand für die VerursacherInnen der Krise aufwendet, und dem, was sie für Bildung ausgibt, konzentrierte. Zahlreiche Lippenbekenntnisse der PolitikerInnen, die zumeist darauf abzielten, dass die Ausgaben für Bildung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen sollten, und wiederholte Bekräftigungen, dass der freie Hochschulzugang auch tatsächlich frei und zudem qualitativ höchstklassig bleiben sollte, brachten zwar eine Beruhigung der Gemüter, aber keine tatsächliche Ausfinanzierung der Universitäten. Das dicke Ende kam erst mit der Ankündigung des Finanzministers Josef Pröll im Frühjahr 2010, dass die Universtätenbudgets bis auf weiteres eingefroren würden. Das kommt einer Senkung gleich, wenn frau/man Inflation und (hoffentlich) steigende StudentInnenzahlen bedenkt. Die Krone wurde dem Ganzen dann von der Wissenschaftsministerin Beatrix Karl aufgesetzt, die verkündete, dass am Zwei-Prozent-Ziel zwar festgehalten würde, die fehlenden 0,7 Prozent aber gefälligst von privaten Stellen aufzutreiben seien und, dass Studiengebühren über kurz oder lang wieder notwendig werden würden. Die Ursache für diese nicht nachvollziehbare Politik – Österreich befindet sich bei sämtlichen internationalen Vergleichen, die Hochschulen betreffen, im abgeschlagenen Bereich – liegt nicht zuletzt darin, dass Bildung international als Dienstleistung gesehen wird, und sie deswegen wie jede andere Dienstleistung erstens kostenpflichtig und zweitens effizient nach marktwirtschaftlichen Kriterien organisiert sein muss. Einer der entscheidensten Schritte in diese Richtung war das „Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen“ (GATS) der WTO (Welthandelsorganisation), das 1995 in Kraft trat. Darin wird Bildung als Dienstleistung definiert und das Ziel ausgegeben, diese fortschreitend zu liberalisieren. Vor diesem Hintergrund muss auch der Bologna-Prozess gesehen werden und damit verbundene Schlagworte wie die bereits vorher genannten (Mobilität, internationale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungsfähigkeit), ordnen sich wunderbar in die internationale Stoßrichtung ein. Mit dem Universitätsgesetz 2002 (UG 02) wurde dieser Vorlage auch in Österreich Genüge getan und die Universitäten in die Autonomie entlassen. Entlassen bedeutet in diesem Kontext, dass die Hochschulen zu vollrechtsfähigen, finanziell autonomen und hierarchischen Gebilden gemacht wurden, die in Aufbau und Struktur frappant an Unternehmen erinnern. Als Beispiel seien hier nur die Universitätsräte genannt; verkürzt gesagt: Aufsichtsräte für Universitäten. Eine Konsequenz dieser Autonomie war, neben der Einführung von Studiengebühren, dass sich die Politik jeder Verantwortung für die finanzielle Situation entledigte. Die Hochschulen werden zwar weiterhin staatlich finanziert, das Ministerium kann aber ruhigen Gewissens darauf verweisen, dass die Verantwortung einzig und allein bei den RektorInnen, also bei den ManagerInnen, liegt. Die Gesellschaft neigt anscheinend dazu, das zu glauben. Jenseits von wirtschaftlichen Auswirkungen ist allerdings noch ein weiterer Aspekt dieser letzten Hochschulreform von Bedeutung. Die in den 70ern eingeführte universitäre Mitbestimmung wurde kurzerhand großteils abgeschafft. Eine nur folgerichtige Verfahrensweise, wenn frau/man bedenkt, dass ein/e RektorIn als ManagerIn nur dann funktioniert, wenn ihm/ihr eine straff organisierte Struktur untersteht.
„Wessen Uni? Unsere Uni?“
Eine straff organisierte Struktur verträgt selbstverständlich keine StudentInnen, die mitbestimmen. Eigentlich verträgt sie gar keine Mitbestimmung. Die Denkweise der GesetzgeberInnen dürfte anhand dieser Sätze relativ gut beschrieben sein, denn zusätzlich zu den StudentInnen wurden fast alle an der Universität vertretenen Gruppen ausgeschlossen – abgesehen vielleicht von den ordentlichen ProfessorInnen, denen komfortable Mehrheiten in sämtlichen beschlussfähigen Gremien zugestanden wurden. Das Problem dabei (für die ProfessorInnen natürlich) ist allerdings, dass auch sämtliche Beschlüsse dieser Gremien, also alles, was mit Studienrecht, Studienorganisation und ProfessorInnen-Berufungen zusammenhängt, wiederum von der Zustimmung des Rektorats abhängen. Die Konsequenz daraus ist, dass selbst die verbliebenen Mitbestimmungsorgane, wie etwa Senat oder Berufungskommissionen, voll und ganz unter der Kontrolle des Rektorats stehen. Die Suche nach Präzedenzfällen für eine derartig durchorganisierte und absolutistische Universitätsstruktur gestaltet sich schwierig, wer sich die Mühe machen will, kann sich gerne mit dem Schlagwort „Führeruniversität“ auseinandersetzten.
Jedenfalls bietet die momentane Universität weder genügend Möglichkeiten für StudentInnen effektive Mitbestimmung auszuüben, die über den Grad eines gnädigen Dialogs hinausgeht, noch zeigen sich diejenigen, die an der universitären Macht sind bereit, den Gesetztestext auf eine Art und Weise auszulegen, die Mitsprache für alle Gruppen (also StudentInnen, akademischer Mittelbau, ordentliche ProfessorInnen und nicht lehrendes Personal) zulässt. Um mit einem Beispiel zu enden: Das Rektorat verlässt sich bei der Evaluierung von Studienplänen lieber auf externe GutachterInnen als auf jene, die tagtäglich mit ihnen zu tun haben. Deren Aufgabe ist dann auch meistens nicht die Verbesserung der Studienpläne, sondern das Aufzeigen von Möglichkeiten um noch effizienter und noch kostengünstiger agieren zu können.
Leider ist es auf dem begrenzten Raum, den ein kurzer Artikel bietet, nicht möglich alle Aspekte erschöpfend zu behandeln. Verkompliziert wird die Lage auch dadurch, dass viel zu oft eine Durchmischung von Interessen, AkteurInnen und nicht zuletzt der Widerstände dagegen vorliegt. Die Raumfrage illustriert die komplexe Situation, die einfache Antworten unmöglich macht: An der Universität Wien herrscht ein Raummangel, der jeder Beschreibung spottet. Es fehlen Büros für Lehrende, Lernräume für StudentInnen, selbstbestimmte Aufenthaltsräume, und vieles mehr. Nichtsdestotrotz weigert sich die Universitätsleitung, die ja, siehe UG 02, die alleinige Verantwortung für die Räumlichkeiten trägt, für Lösungen zu sorgen. Allerdings ist es anscheinend kein Problem, Raum für diverse Gaststätten, Dienstleistungseinrichtungen und ganz allgemein bezahlende KundInnen aufzutreiben. (siehe zB.: Hof 1 des Campus, AAKH) Wie im Bilderbuch lassen sich hier Probleme aufzeigen, die die Liberalisierung und die Entdemokratisierung der Hochschulen mit sich bringen.
Wie der ehemalige Kanzler Fred Sinowatz zu sagen pflegte: „Es ist alles sehr kompliziert“. Trotzdem hat dieser Artikel hoffentlich wenigstens etwas Licht ins Dunkel der allgemeinen Sauerei, die sich Hochschulsektor nennt, gebracht.